Hygiene im Haushalt


In einem wissenschaftlichen Bericht, der heute auf der Excellence in
Paediatrics Conference in Madrid vorgelegt wurde, rufen Wissenschaftler
des International Scientific Forum on Home Hygiene (IFH)[1] zu einem
radikalen Umdenken in Bezug auf Reinlichkeit und Hygiene im Haushalt
auf. Der Bericht hinterfragt die lange Zeit geltende "Hygienehypothese",
die besagt, dass übermässige Reinlichkeit bei Kindern sogar vermehrt zu
Allergien führen könne. Und wenngleich der Bericht das Konzept
bestätigt, dass wir einigen Mikroorganismen ausgesetzt sein müssen, um
unser Immunsystem zu regulieren, wird die Annahme hinterfragt, dass es
sich dabei auch um Keime handeln müsse, die zu Infektionskrankheiten
führen - die Vorstellung, dass Kinder, die aufgrund einer reinlicheren
Umgebung weniger erkranken, vermehrt Asthma oder sonstige Allergien
ausbilden.
Für den IFH-Bericht mit dem Titel "The hygiene
hypothesis and its implications for home hygiene, lifestyle and public
health" (Die Hygienehypothese und ihre Auswirkungen auf die Hygiene im
Haushalt, auf den Lebensstil und auf das Gesundheitswesen) wurden
wissenschaftliche Erkenntnisse überarbeitet, die in den vergangenen 20
Jahren seit der Aufstellung der "Hygienehypothese" erbracht wurden. Man
untersuchte, ob die heutige Hygiene im Haushalt und im Alltag wirklich
ein Auslöser für Allergien, wie z. B. Heuschnupfen, und
chronisch-entzündliche Erkrankungen (CEE), wie z. B. Typ-1-Diabetes,
multiple Sklerose und chronisch-entzündliche Darmerkrankung, sein könne,
die allesamt in den vergangenen Jahren vermehrt auftreten. Die Forscher
kamen zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl von Massnahmen, wie z. B.
sanitäre Anlagen, saubereres Essen und Trinken sowie Antibiotika, die in
den letzten 200 Jahren eingeführt wurden, den Kontakt sowohl mit
schädlichen Keimen als auch mit Mikroorganismen, die unser Immunsystem
regulieren, reduziert oder verändert haben. Zusammen mit anderen
Faktoren, wie beispielsweise Genetik, moderner Ernährung,
Umweltverschmutzung und Stress, sind wir somit anfälliger für Allergien
und CEE.
Die Forscher legen eindringlich nahe, dass wir auch
weiterhin darauf achten müssen, die "falschen" Mikroorganismen - also
die Krankheitserreger, die zu schweren Erkrankungen führen können -
unter Kontrolle zu halten, auch wenn der Kontakt mit den "richtigen"
Mikroorganismen von wesentlicher Bedeutung sei. Die nach wie vor hohe
Belastung durch Infektionskrankheiten, die höhere Anzahl an
infektionsgefährdeten Menschen, das Problem der Antibiotikaresistenz,
der Mangel an wirksamen Impfstoffen gegen viele Infektionskrankheiten -
all dies bedeutet, dass Infektionsprävention nach wie vor ein
Gesundheitsproblem darstellt, das unsere grösste Aufmerksamkeit
verdient. Hygiene muss daher eine zunehmend wichtige Rolle spielen, und
der IFH-Bericht räumt ein, dass diesem Thema auf der Gesundheitsagenda
eine höhere Bedeutung zukommen müsse.
"Allergien und
chronisch-entzündliche Erkrankungen sind ernsthafte Gesundheitsprobleme.
Einfach zu behaupten, dass eine ,übermässige Reinlichkeit' der Grund
dafür sei, ist der falsche Ansatz, da dies davon abhält, die wahren und
vermutlich viel komplexeren Ursachen und folglich auch die Lösungen für
das Problem zu finden", kommentierte Dr. Rosalind Stanwell Smith,
Honorary Senior Lecturer an der London School of Hygiene and Tropical
Medicine (GB) und Mitautorin des Berichts. Sich darüber Sorgen zu
machen, ob man "zu reinlich" sei, könnte dazu führen, dass Erwachsene
und ihre Kinder unnötigerweise mit Krankheitserregern in Kontakt kommen,
die sie krank machen und ganz klar eine Gefahr darstellen würden.
Professor
Sally Bloomfield, Chairman des IFH, Honorary Professor an der London
School of Hygiene and Tropical Medicine (GB) und Mitautorin des
Berichts, fügte hinzu: "Entscheidend dabei ist, dass wir uns von der
Vorstellung verabschieden müssen, ,zu reinlich' zu sein, und somit
Reinlichkeit mit Hygiene verwechseln. Wir müssen den Menschen dabei
helfen, unterscheiden zu können, ob sie ihre Kinder lediglich mit ihrer
Umgebung in Kontakt treten oder sie schmutzig werden lassen, und dabei
darauf achten, dass sie so gut wie möglich vor potenziell schädlichen
Erregern geschützt sind. Wir sollten Kinder beispielsweise dazu
ermutigen, miteinander zu spielen und ungehindert mit ihrer Umgebung zu
interagieren, dabei jedoch Dinge wie das Händewaschen nach dem
Toilettengang, vor dem Essen, nach dem Spielen auf dem Bauernhof usw.
rigoros durchzusetzen."
Professor Rook vom Centre for Clinical
Microbiology, University College London (GB), und Mitautor des Berichts
legt nahe, dass die neuen Forschungsergebnisse besser mit der
Vorstellung vereinbar seien, dass es sich bei den Mikroorganismen, denen
wir ausgesetzt sein müssen, nicht um Erreger von Infektionskrankheiten
handele, da diese sich erst vor relativ kurzer Zeit entwickelt hätten.
Er schlägt vor, dass die Mikroorganismen, die wir benötigen, diejenigen
seien, denen wir in der Steinzeit ausgesetzt waren, als unsere
Immunsysteme sich zu entwickeln begannen: Umweltkeime, also die Keime,
die seinerzeit unsere reguläre Darmflora bildeten, sowie Helminthen
(Würmer). Er bezeichnet die Überarbeitung der Hygienehypothese als
"Old-Friends"-Hypothese. "Es wird immer deutlicher, dass wir nach Wegen
suchen müssen, um uns erneut diesen ?alten Bekannten' auszusetzen, um
die zunehmende Zahl der Allergien und weiterer chronisch-entzündlicher
Erkrankungen zu bekämpfen, welche die Gesellschaft von heute plagen.
Doch das wird mehr Zeit und weitere Forschungen erfordern. Wenn die
?Old-Friends'-Hypothese stimmt, ist es unwahrscheinlich, dass
nachlässigere Hygiene- und Reinlichkeitsstandards dabei helfen werden,
da es ziemlich wahrscheinlich ist, dass nicht mehr viele dieser
Mikroorganismen und weitere hilfreiche Einflüsse in unseren modernen,
urbanen Behausungen auftreten."
Hierbei handelt es sich um die
Grundlage einer rationaleren Herangehensweise an Hygiene im Haushalt,
die vom IFH entwickelt wurde und als "gezielte Hygiene" bezeichnet wird.
Dahinter steckt das Prinzip, den Menschen begreiflich zu machen, wie
schädliche Erreger hauptsächlich in unser Zuhause und in unseren Alltag
gelangen und dass es wichtig ist, Hygienemassnahmen, wie das
Händewaschen in angemessenen Situationen, zu ergreifen und somit die
Ausbreitung von Keimen zu verhindern. Indem wie uns auf unsere
Hygienegewohnheiten und die unserer Kinder konzentrieren, wird das
Erkrankungsrisiko minimiert, und andere Mikroorganismen, die auf
natürliche Weise in unserer Umgebung vorhanden sind, werden am wenigsten
beeinträchtigt. Das IFH ist sich bewusst, dass nationale und
internationale Gesundheitsbehörden, Umweltministerien und
Entscheidungsträger zusammenarbeiten und die Verantwortung für
Gewohnheits- und Verhaltensänderungen sowie für Aufklärung in allen
Gesellschaftsschichten übernehmen müssen, um eine bedeutsame und
einflussreiche Veränderung herbeizuführen.
Informationen
Das
IHF hat ausserdem eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und
Schlussfolgerungen des Berichts erstellt. Diese können über folgenden
Link im Papierformat angefordert oder heruntergeladen werden:
http://www.ifh-homehygiene.org
Das
International Scientific Forum on Home Hygiene (IFH) ist eine
gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die auf der Grundlage von
soliden wissenschaftlichen Prinzipien die Praktiken zur Hygiene im
Haushalt entwickelt und fördert. Weitere Informationen über das IFH
erhalten Sie unter http://www.ifh-homehygiene.org