Komplementär- und Alternativmedizin (CAM)
Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) spielt eine wichtige Rolle
in Europas Gesundheitswesen – aber es gibt zu wenig gesichertes Wissen
darüber Wissenschaftler des EU–Projektes CAMbrella fordern eine
gemeinsame europäische Forschungsstrategie in der „Roadmap for European
CAM research“
CAMbrella, das EU-geförderte Forschungsnetzwerk
für Komple-mentär- und Alternativmedizin (CAM), präsentierte im
November 2012 die Ergebnisse seiner dreijährigen Arbeit in der
Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union in Brüssel.
Die CAMbrella-Forscher bestätigen, dass das Wissen, das Angebot und
die Regulierung der Komplementärmedizin (CAM) in Europa sehr
unterschiedlich sind und dass CAM ein stark vernachlässigtes
Forschungs-gebiet ist. Europa ist, verglichen mit den finanziellen und
strukturellen CAM-Investitionen zur Forschungsförderung in den
Vereinigten Staaten, Asien und Australien, im Hintertreffen. Eine
zentrale und koordinierte Forschungsanstrengung ist daher dringend
erforderlich, um das Wissen über dieses Medizingebiet zu verbessern.
Die CAMbrella-Gruppe fordert daher ein koordiniertes gesamteuropäisches
Vorgehen, und hat Vorschläge dazu in der “Roadmap for European CAM
research” erarbeitet.
Die Nachfrage nach CAM in Europa ist groß: Das
CAMbrella-Projekt stellte fest, dass bis zu 50 Prozent der europäischen
BürgerInnen auf CAM Methoden benutzen. In seinem Referat bei der
Abschlusskonferenz in Brüssel sagte der Projektkoordinator Dr. Wolfgang
Weidenhammer vom Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und
Naturheilkunde des Klinikums rechts der Isar der TU München: “Die
Bürger sind der Motor für CAM. Ihre Bedürfnisse und Meinungen sind
die Schlüsselpriorität; wir müssen die Interessen der europäischen
BürgerInnen besser kennen und sie in der Forschung stärker
berücksichtigen.”
Mehr als 150.000 Ärzte mit einer
Zusatzqualifikation in CAM und mehr als 180.000 nicht-ärztliche
Therapeuten praktizieren CAM-Methoden in Europa; d.h. es gibt etwa 65
CAM-Anbieter pro 100.000 Einwohner verglichen mit ca 95 Ärzten pro
100.000 Einwohnern – allerdings unterscheiden sich die gesetzlichen
Rahmenbedingungen für die Ausübung von CAM in allen 39 europäischen
Ländern. Prof. Vinjar Fønnebø von der Universität Tromsø, Norwegen
kommentiert: “Gesundheitsanbieter müssen ihren Patienten und Klienten
sichere Dienstleistungen anbieten können. Das gegenwärtige Chaos bei
Ausbildungen und Rahmenbedingungen für CAM macht dies sehr schwierig”.
Massive Datenlücken für CAM in Europa
Europa
hat sich bisher nur unzureichend mit diesem Feld der Medizin befasst.
Verwertbares Wissen über die Verbreitung von CAM als
Medizindienstleistung für die europäischen Bürger und Patienten ist
größtenteils nicht vorhanden. Weder sind in den meisten europäischen
Ländern bisher die Bedürfnisse der BürgerInnen in Bezug auf das
CAM-Angebot erhoben worden noch gibt es gesichertes Wissen über die
Situation der Anbieter.
Was ist CAM?
CAM ist ein Sammelbegriff für
Behandlungsmethoden, die meist außerhalb der konventionellen Medizin in
Anspruch genommen werden. Methoden wie Phytotherapie, Homöopathie,
Manuelle Therapien (Massage, Osteopathie und Reflexologie) oder
Akupunktur, um nur die Bekanntesten zu nennen, werden in der Behandlung
chronischer Erkrankungen, Krankheitsprävention und der
Gesundheitsvorsorge angewandt. CAM umfasst aber auch in einigen
europäischen Ländern weniger bekannte Methoden wie z.B. anthroposophisch
erweiterte Medizin, klassische Naturheilverfahren oder Neuraltherapie.
Forderungen an die EU: „Roadmap for European CAM research“
Die
CAMbrella-Gruppe fordert die EU auf, europäische
CAM-Forschungsprogramme und -initiativen zu implementieren, die die
generell unklare Situation dieses Gebietes ins Auge fassen und sich an
den tatsächlichen medizinischen Versorgungsbedingungen in Europa
orientieren, wie Prof. Dr. Benno Brinkhaus vom Institut für
Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité -
Universitätsmedizin Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe Roadmap,
ausführt: „Wenn CAM ein Teil der Lösung der Probleme im
Gesundheitssystem sein soll, die in den kommenden Jahren auf uns
zukommen, müssen wir dringend zuverlässige Informationen über
Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten in den realen Versorgungsbedingungen
sammeln und analysieren. “
Die Projektgruppe schlägt die Errichtung
eines europäischen Zentrums für CAM vor, das die von CAMbrella
empfohlene Forschungsstrategie berücksichtigt. Ein solches Zentrum
würde den Forschern die Beantwortung der drängendsten Fragen möglich
machen: Wer benutzt CAM in Europa und wofür? Welche CAM Methoden
versprechen den größten Nutzen für die zentralen Gesundheits-probleme
Fettleibigkeit, Diabetes und Krebs? Wie kann die Sicherheit von
Patienten gewährleistet werden? Welche Bedürfnisse haben EU-Bürger?
Welche Chancen und Risiken bestehen bei der Integration von CAM in
konventionelle Behandlungspläne? Was ist bei der Planung eines
einheit-lichen, wissenschaftsbasierten Vorgehens und bei der
koordinierten Verbreitung der Ergebnisse in alle Bereiche der
EU-Öffentlichkeit zu beachten?
„Die Vision von CAMbrellas Roadmap ist
es, zu einer evidenzbasierten Grundlage beizutragen, die den
europäischen Bürgern und Politikern ermöglicht, fundierte
Entscheidungen zu CAM zu treffen“ fasst Prof. Dr. Benno Brinkhaus die
Ziele des Projekts zusammen.
„Dem CAMbrella Projekt kommt somit eine
zentrale Bedeutung für die Komplementärmedizin und die
Gesundheitsversorgung in Europa zu“, resümiert der Projektleiter Dr.
Weidenhammer „es kommt nun darauf an, die Ideen und Vorschläge
umzusetzen und dazu bedarf es dringend einer europäischen Förderung“.
Anmerkungen
1. “CAM” steht für “Complementary
and Alternative Medicine”. CAM setzt sich zunehmend auch im
deutschsprachigen Raum als gängige Abkürzung für Behandlungsverfahren
durch, die nicht dem Mainstream der Medizin zuzuordnen sind.
2. In
CAMbrella haben 16 Partnerinstitutionen aus 12 europäischen Ländern
zusammen gearbeitet, und die „Roadmap zur Europäischen CAM-Forschung“
entwickelt. Die Roadmap soll sowohl die
Bedürfnisse der europäischen
Bürger berücksichtigen als auch eine brauchbare Arbeitsgrundlage für
das EU-Parlament, die nationalen Fördergeber sowie CAM-Stakeholder
bilden.
3. Die CAMbrella-Gruppe besteht aus akademischen
Forschungsgruppen und vertritt keine einzelnen CAM-Methoden oder
Anbieterinteressen.
4. CAMbrellas Ziel bestand darin,
aussagekräftige, vergleichende Forschung und Kommunikation innerhalb
Europas zu ermöglichen sowie die Schaffung einer nachhaltigen Struktur
und Richtlinien für CAM in Europa zu unterstützen. Die EU-Kommission
förderte das Projekt seit Januar 2010 im 7. Forschungsrahmenprogramm mit
rund 1,5 Millionen Euro.
5. Da aus den meisten europäischen
Mitgliedsstaaten keinerlei Daten zu den Fragestellungen von CAMbrella
vorliegen, konnte nur etwa die Hälfte der insgesamt 39 Mitgliedsstaaten
und assoziierten Länder herangezogen werden.
6. Phytotherapie /
Kräutermedizin war die am häufigsten berichtete CAM-Methode.
Erkrankungen des Bewegungsapparates (muskuloskeletale Erkrankungen) sind
der am häufigsten genannte Grund für den therapeutischen Einsatz von
CAM.
7. Alle vom Projekt erstellten Dokumente werden ab Dezember 2012
laufend auf der Website: http://www.cambrella.eu/documents
veröffentlicht. Wenn Sie über neue Uploads informierte werden wollen,
können Sie sich hier registrieren: http://www.cambrella.eu/newsletter
Dr.
Dr. Wolfgang Weidenhammer ist stellvertretender Leiter des
Kompetenzzentrums für Komple-mentärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat;
Leitung: Prof. Dr. Dieter Melchart) am Klinikum rechts der Isar der TU
München. Er koordinierte das Gesamtprojekt CAMbrella.
Prof. Vinjar
Fønnebø ist der Direktor des Norwegischen Forschungszentrums für CAM an
der Universität Tromsø. In CAMbrella hat er die Arbeitsgruppe zu
CAM-Regulierung und gesetzlichen Rahmenbedingungen in Europa geleitet.
Prof.
Benno Brinkhaus ist Oberarzt, Leiter der Hochschulambulanz am Standort
Mitte und stellvertretender Leiter des Projektbereichs
Komplementärmedizin am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und
Gesundheitsökonomie, Charité - Universitätsmedizin Berlin. Im CAMbrella
Projekt hat er die Arbeitsgruppe „Roadmap“ geleitet.
www.cambrella.eu